Eskalationsstufen: Modell und Praxisanwendung
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Konflikte sind ein unvermeidlicher Teil des menschlichen Zusammenlebens. Sie entstehen in vielen Bereichen, ob in der Schule, im Beruf oder in persönlichen Beziehungen. Ein bedeutendes Modell, das hilft, Konflikte zu verstehen und zu lösen, sind die Eskalationsstufen nach Friedrich Glasl. In diesem Artikel geben wir dir einen Überblick über die Eskalationsstufen, erklären, wie sie in der Praxis angewendet werden können und bieten Lösungsansätze an, um Konflikte erfolgreich zu deeskalieren.
Was sind Eskalationsstufen?
Eskalationsstufen beschreiben die verschiedenen Phasen eines Konflikts, in denen sich die beteiligten Parteien befinden können. Ein Konflikt entwickelt sich nicht von einem Moment auf den anderen zu einer Krise. Vielmehr gibt es eine schrittweise Eskalation, bei der die Situation immer angespannter und schwieriger zu lösen wird. Das Ziel ist es, frühzeitig zu erkennen, auf welcher Stufe sich der Konflikt befindet, um geeignete Lösungsstrategien anzuwenden.
Jede Eskalationsstufe spiegelt das Verhalten und die Denkmuster der beteiligten Parteien wider. Ein frühes Eingreifen auf niedrigeren Stufen ermöglicht es, den Konflikt konstruktiv zu lösen, bevor er in eine destruktive Phase übergeht. Besonders wichtig ist das Prinzip der „Win-Win“-Lösung, bei der beide Seiten etwas von der Konfliktlösung haben und damit zufrieden sind.
Das Eskalationsmodell nach Friedrich Glasl ist eines der bekanntesten Modelle zur Konfliktanalyse und beschreibt neun Eskalationsstufen. Glasl, ein österreichischer Konfliktforscher, entwickelte dieses Modell, um die Dynamik von Konflikten besser zu verstehen und geeignete Deeskalationsstrategien anzubieten.
Glasl unterteilt die neun Stufen in drei Hauptphasen:
- Win-Win-Phase: Beide Parteien sehen noch die Möglichkeit einer einvernehmlichen Lösung.
- Win-Lose-Phase: Die Konfliktparteien sehen sich zunehmend als Gegner und eine Partei versucht, auf Kosten der anderen zu gewinnen.
- Lose-Lose-Phase: Beide Parteien geraten in eine Spirale der Zerstörung, bei der am Ende beide verlieren.
In jeder Phase verändern sich die Wahrnehmung, die Kommunikation und das Verhalten der Beteiligten. Es ist daher entscheidend, den Konflikt so früh wie möglich zu erkennen und Maßnahmen zur Konfliktbewältigung zu ergreifen.
Stufe 1: Verhärtung
In der ersten Stufe des Konflikts treten Meinungsverschiedenheiten auf, aber die Parteien versuchen, den Konflikt sachlich zu lösen. Hier gibt es noch keine feindseligen Handlungen, aber es zeigen sich erste Spannungen. Zum Beispiel könnte ein Azubi im Betrieb eine andere Meinung zu einem Arbeitsprozess haben als sein Ausbilder. Beide diskutieren, wie eine Aufgabe besser erledigt werden kann. Solange beide Seiten zuhören und respektvoll bleiben, ist der Konflikt lösbar.
Stufe 2: Debatte und Polemik
Der Konflikt wird intensiver. Beide Parteien versuchen, ihre Positionen durchzusetzen, und die Kommunikation wird zunehmend schärfer. Polemische Argumente und „Schwarz-Weiß-Denken“ treten auf, das heißt, die Parteien sehen nur noch ihre eigene Meinung als richtig an. Eine sachliche Klärung wird schwieriger, da sich die Fronten verhärten.
Zum Beispiel kann es sein, dass der Azubi darauf beharrt, dass seine Methode effektiver ist, während der Ausbilder beginnt, persönliche Kritik zu äußern, indem er sagt, der Azubi sei noch zu unerfahren, um solche Vorschläge zu machen. Der Ton wird schärfer und es entstehen erste verletzende Äußerungen.
Stufe 3: Taten statt Worte
Die Kommunikation zwischen den Parteien wird zunehmend abgebrochen und es wird versucht, durch Handlungen Druck auszuüben. Zum Beispiel könnten betroffene Azubis Aufgaben verweigern, eigenständig neue Methoden anwenden, obwohl der Ausbilder dies ausdrücklich untersagt hat oder den Kontakt mit Vorgesetzten meiden. Diese Stufe markiert den Übergang von einem lösbaren zu einem ernsthaften Konflikt.
Stufe 4: Koalitionen und Gesichtsverlust
In dieser Stufe beginnt jede Partei, Verbündete zu suchen, um den eigenen Standpunkt zu stärken. Es geht nicht mehr nur um die Konfliktlösungsfähigkeit, sondern darum, das eigene Gesicht zu wahren und den anderen zu besiegen. Der „Gesichtsverlust“ der anderen Partei steht im Fokus.
Ein Beispiel wäre, dass der Azubi mit anderen Kollegen spricht und versucht, sie auf seine Seite zu ziehen, indem er den Ausbilder schlecht darstellt. Der Ausbilder wiederum zieht den Betriebsleiter hinzu, um seine Position zu stärken und weist auf die Verfehlungen des Azubis hin.
Stufe 5: Gesichtsverlust
Der Konflikt eskaliert weiter und das Ziel besteht nun darin, den Gegner zu entwerten. Beide Parteien greifen zu persönlichen Angriffen und versuchen, den anderen öffentlich zu diskreditieren. Der Verlust der moralischen Glaubwürdigkeit des Gegners steht im Vordergrund.
An dieser Stelle könnte sich der Azubi offiziell über den Ausbilder beschweren und ihn als ungeeignet für die Ausbildung darstellen. Der Ausbilder versucht im Gegenzug, den Azubi als faul und unkooperativ zu beschreiben, um seine Glaubwürdigkeit zu untergraben. Beide Parteien verlieren die sachliche Ebene vollständig.
Stufe 6: Drohstrategien
Nun greifen beide Seiten zu offenen Drohungen, um ihre Ziele zu erreichen. Diese Stufe ist geprägt von gegenseitigen „Drohstrategien“, bei denen jede Partei versucht, die andere einzuschüchtern und zur Kapitulation zu zwingen.
Der Azubi kann beispielsweise drohen, das Unternehmen zu verlassen, falls der Ausbilder nicht ausgetauscht wird. Der Ausbilder droht dem Azubi mit einer schlechten Beurteilung und möglichen Konsequenzen für seine Abschlussprüfung. Beide versuchen, Druck auf den anderen auszuüben, anstatt eine Lösung zu finden.
Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge
Auf dieser Stufe geht es nicht mehr nur darum, den Konflikt zu gewinnen, sondern den Gegner ernsthaft zu schädigen. Beide Seiten nehmen in Kauf, dass sie selbst auch Schaden erleiden, solange der andere verliert. Hier sind „begrenzte Vernichtungsschläge“ typisch, die den Konflikt weit über das eigentliche Problem hinaus eskalieren lassen.
Ein Beispiel: Der Azubi beginnt, absichtlich schlecht zu arbeiten und dabei Fehler zu machen, um den Ausbilder schlecht aussehen zu lassen. Der Ausbilder reagiert, indem er dem Azubi zunehmend schwierige und undankbare Aufgaben gibt, um dessen Motivation weiter zu schwächen. Beide Seiten nehmen Nachteile in Kauf, nur um den anderen zu schädigen.
Stufe 8: Zersplitterung
Der Konflikt hat sich so weit entwickelt, dass er in viele kleinere Konflikte zerfällt. Beide Parteien versuchen, den Gegner vollständig zu isolieren und zu zerstören. In dieser Phase sind Lösungsversuche äußerst schwierig, da das Vertrauen völlig verloren gegangen ist. So kann es z. B. sein, dass der Azubi nicht mehr mit dem Ausbilder spricht, sondern nur noch versucht, alle anderen Kollegen gegen ihn aufzubringen. Der Ausbilder geht ebenfalls auf Distanz und gibt dem Azubi keine Verantwortung mehr, was dessen Lernfortschritte blockiert. Der Konflikt wird auf viele kleine Alltagssituationen übertragen und das Arbeitsumfeld wird für beide unerträglich.
Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund
In der letzten Stufe sehen beide Seiten keinen Ausweg mehr und sind bereit, alles zu opfern. Der Konflikt endet in einer „gemeinsamen Zerstörung“, bei der beide Parteien schwerwiegenden Schaden nehmen. Diese Stufe ist der absolute Tiefpunkt eines Konflikts und zeigt, wie wichtig es ist, frühzeitig einzugreifen.
Ein Beispiel für diese Phase ist, dass der Azubi schließlich seine Ausbildungsstelle kündigt, während der Ausbilder in seinem Umfeld als jemand angesehen wird, der keine Azubis ausbilden kann. Beide Seiten haben durch den Konflikt Schaden erlitten: Der Azubi verliert seine Ausbildungsstelle, und der Ausbilder bekommt von Vorgesetzten negatives Feedback. Am Ende gibt es keine Gewinner mehr.
Eskalationsmechanismen beschreiben, wie sich Konflikte verschärfen. Dazu zählen zum Beispiel das Schwarz-Weiß-Denken, Drohstrategien und die zunehmende Entmenschlichung des Gegners. Diese Mechanismen führen dazu, dass ein Konflikt immer schwerer lösbar wird und sich die Konfliktparteien in einer Spirale nach unten bewegen.
Doch ebenso gibt es Deeskalationsstrategien, die helfen können, Konflikte zu entschärfen. Dazu gehören:
- Sachliche Klärung: Ein sachliches Gespräch kann helfen, den Konflikt frühzeitig zu lösen. Wichtig ist, dass beide Seiten bereit sind zum aktiven Zuhören und Kompromisse zu finden.
- Externe Vermittler: Ein neutraler Dritter, wie ein Mediator oder Coach mit einer guten Problemlösungskompetenz, kann den Parteien helfen, den Konflikt aus einer neuen Perspektive zu betrachten und eine Lösung zu finden.
- Soziotherapeutische Ansätze: In besonders schwierigen Konfliktsituationen können therapeutische Interventionen helfen, die emotionalen Blockaden zu lösen und den Konflikt zu entschärfen.
In der Praxis lassen sich die Eskalationsstufen in vielen Bereichen anwenden – sei es in der Ausbildung, im Beruf oder im privaten Umfeld. Ein gutes Beispiel ist der Arbeitsalltag in Betrieben, wo Konflikte zwischen Azubis, Kollegen und Vorgesetzten auftreten können.
Um Konflikte in der Praxis zu lösen, sind folgende Schritte hilfreich:
- Frühzeitiges Erkennen: Konflikte früh zu erkennen und anzugehen, verhindert eine Eskalation auf höhere Stufen. Azubis sollten sich trauen, Probleme frühzeitig anzusprechen, bevor sie größer werden.
- Kommunikation verbessern: Offene und ehrliche Kommunikation ist der Schlüssel zur Konfliktlösung. Regelmäßige Feedback-Gespräche zwischen Ausbildern und Azubis schaffen Vertrauen und Transparenz.
- Vermeidung von Drohstrategien: Drohungen führen meist zu einer weiteren Eskalation. Stattdessen sollten Azubis und Ausbilder gemeinsam nach konstruktiven Lösungen suchen.
- Mediation nutzen: In schwerwiegenden Konfliktsituationen kann es sinnvoll sein, einen externen Mediator hinzuzuziehen, der als neutraler Vermittler agiert.
In der Ausbildung kann das Wissen über die Eskalationsstufen helfen, Konflikte nicht nur besser zu verstehen, sondern auch effektiv zu bewältigen. Wenn alle Beteiligten die Dynamik eines Konflikts kennen, können sie rechtzeitig gegensteuern und eine „Win-Win“-Lösung anstreben.
Insgesamt bietet das Eskalationsmodell nach Glasl eine wertvolle Orientierungshilfe, um Konflikte in den Griff zu bekommen und in der Praxis erfolgreich zu deeskalieren.
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